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Die Bernische Staatsbahn — the missing link
(08/01/16)


Seit langem sind die Papiere im HWP-Markt bekannt: die filigrane «Ost–West-Bahn» (1860) sowie die wunderhübsche «Bern–Luzern-Bahn» (1873) und die ebenso fein gestaltete, noch ältere «Jura industriel» (1858). Bisher nie aufgetaucht ist hingegen das Verbindungsstück: ein Titel der Bernischen Staatsbahn (BSB), die lt. Unterlagen vom 1. Juni 1861 bis zum 23. Mai 1877 existierte.

Kleingedrucktem sei Dank, die Rückseite dieser Berner Staatsanleihe über CHF 1’000 vom 31. Dezember 1861 bestätigte den Fund als das vermisste Dokument:

«Bernische Staatsanleihe 1861»
Staatsanleihe für die Bernische Staatsbahn, 1861

«Bestimmungen des Decretes des Grossen Rathes vom 29. August 1861
1. Für den Ankauf und die Vollendung der Eisenbahn-Strecken Neuenstadt—Biel und Bern—Langnau, sowie für die Erstellung der Linie Biel—Bern wird ein Anleihen von zwölf Millionen Franken aufgenommen, in welcher Summe jedoch die laut Art. 2 des Kaufvertrags mit der Ostwestbahn-Gesellschaft auszugebenden Staatsschuldscheine, deren Betrag auf vier Millionen Franken bestimmt wird, nicht inbegriffen sind.»

Das Darlehen war gläubigerseits unkündbar, mit einer geplanten ersten Verlosung am 30. Juni 1875 und regelmässiger Tilgung ab 31. Dezember 1875 in Tranchen zu CHF 120'000/Jahr, zu vollenden bis 1900. Zinsen und Rückzahlung hatten zu erfolgen in «Gold- oder grober Silbermünze in eidgenössischer Währung» oder zu 28 Kreuzer süddeutscher Währung je CHF.

Die Zinszahlungen zu 4½% waren halbjährlich fällig, am 30. Juni und 31. Dezember «bei der Kantonskasse in Bern und allen übrigen kantonalen Kassen sowie bei dem Bankhause der Herren M.A. von Rothschild und Söhne in Frankfurt a/M.».

Doch, wie der privaten Unternehmung, war auch der staatlichen Gesellschaft kein überragendes finanzielles Glück beschieden.

«Schweiz. Ost-West-Bahn Aktie 1860»
Schweiz. Ost-West-Bahn-Gesellschaft, 1860, Aktie

Zur Erinnerung: Die 1857 auf Initiative des damaligen Bundesrats Jakob Stämpfli ohne gesicherte Finanzierung begonnene Ost–West-Bahn entstand in Konkurrenz zur bestehenden Schweiz. Centralbahn, die vom Sitz Basel aus Verbindungen hauptsächlich ins Mittelland erstellte. Mit der OWB sollte der Verbindung zwischen der Ost- und der Westschweiz über Olten, Bern und Oron eine weitere entgegengesetzt werden: Beabsichtigt war eine Linienführung von La Neuveville über Biel nach Bern, dann via Gümligen nach Langnau, und von da aus durchs Emmental/Entlebuch bis Luzern und sogar weiter, bis nach Zug und Zürich.

«Vignette OWB-Aktie»
Vignette auf dem Mantel der OWB-Aktie, im Original 6.5 x 17.0 mm(!);
Druck: Orell, Füssli & Comp., Zürich

Dem Emmental lag viel an dieser Strecke, Luzern hingegen hielt sich zurück und gab keine öffentlichen Gelder frei.

Dafür erteilte der bernische Grosse Rat der OWB die Konzession für eine Bahnlinie La Neuveville—Biel—Zollikofen und von Bern bis an die Kantonsgrenze zu Luzern sowie eine Subvention von zwei Mio. Franken. Die Auszahlung erfolgte in Form von Centralbahn-Aktien, weil die OWB dargelegt hatte, bei ihr seien bereits zehn Mio. an Aktienkapital eingegangen — doch die entsprechenden Belege entpuppten sich schlicht als gefälscht. Trotz weiterer staatlicher Hilfe, liess sich die marode Lage der im Volksmund nunmehr «O Wetsch-Bahn» genannten Gesellschaft nicht mehr verheimlichen, und schon bevor sie nur eine einzige Strecke zu Ende gebaut hatte, stand die OWB vor dem Bankrott.

«Schweiz. Ost-West-Bahn Obligation 1860»
Schweiz. Ost-West-Bahn, 1860, Prioritäts-Obligation
(Foto: Peter Christen)

1861 übernahm der Staat Bern die Verbindlichkeiten und eröffnete am 1. Juni 1864 die «Staatsbahn» La Neuveville—Biel—Bern—Langnau. Der Abschnitt Langnau—Entlebuch—Luzern wurde 1875 fertig gestellt, und die Strecke Zürich—Zug—Luzern übernahm schliesslich die Schweiz. Nordostbahn (NOB).

Das scheinbar wilde Hin & Her, die Umbaufreudigkeit (heute «ReOrg» genannt) und die «Fusionitis» mögen erstaunen, doch sind sie Ausdruck unternehmerischen Handelns: «try and error», der einzige Weg zum Fortschritt.

Obwohl die Jura—Simplon-Bahn (JS) nur knapp zwölf Jahre bestand, verhalf sie schliesslich den jahrzehntelangen Bemühungen Berns und der Westschweiz um die Vollendung der Westalpen-Transversale zum Durchbruch, denn die bis zur Fusion zersplitterten und meist defizitären Westschweizer Bahnen hatten die Kraft für den Bau des Simplontunnels nicht aufgebracht.

Bereits ein Jahr nach ihrer Gründung legte die JS das endgültige Projekt für einen Simplontunnel vor: 1895 war der Staatsvertrag mit Italien für den Bau des längsten Tunnels der Welt von Brig nach Iselle unter Dach und Fach, und 1898 begannen die Bauarbeiten am fast 20 km langen Tunnel. Zwar wurde die JS während des Baus übernommen, doch die SBB vollendeten den Simplontunnel 1906 — vor über hundert Jahren, und immer noch ist der Simplon eine Schlüsselstrecke im europäischen Nord-Süd-Verkehr.


«von der OWB zu den SBB»
von der Ost—West-Bahn zu den Schweizerischen Bundesbahnen (big)


Quellen:
• H.-P. Bärtschi & A.-M. Dubler, Historisches Lexikon der Schweiz, Bern
• eigene Unterlagen.

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